DER KUNST-SPIN

AUTOR*INNENMODELLE UND IDENTITÄTSKONSTRUKTIONEN

von Heinz Schütz


Kunst ist ein Produkt, das von einem einzelnen Künstler oder einer Künstlerin hergestellt wird. Diese als konstitutiv erachtete, Künstlerinnen lange Zeit weitestgehend ausschließende Beziehung wurde im westlichen Kontext über Jahrhunderte einstudiert. Sie prägt bis heute das Kunstverständnis, auch wenn inzwischen das Kunstkollektive zunehmend in den Fokus rückt und im digitalen Raum Algorithmen die personale Autor*innenschaft abzulösen beginnen. Bis heute weist das traditionelle Produkt Kunst in einer spinartigen Bewegung nicht nur auf sich und über sich hinaus auf die Welt, sondern insbesondere auch auf die Künstler*innen. [...]


Die Signatur


Frühe Vorläufer von Signaturen finden sich bereits in mittelalterlichen Inschriften auf Gebrauchsgegenständen und Architekturteilen, ebenso wie bei gemalten Bildern und Bildhauereien. Der Name des Produzenten wird dabei mit der Standardformel „hunc fecit“ (hat dies gemacht) kombiniert, aber auch mit der Formulierung „me fecit“ (hat mich gemacht), eine Formel, die das Produkt zum sprechenden Subjekt erklärt, das auf seinen „Erzeuger“ verweist. Neben den, aber auch anstelle der Produzenten nennen die Inschriften immer wieder Auftraggeber und Stifter, deren Macht sich nicht zuletzt in der Formel „fieri ussit“ (hat mich zu machen befohlen) zeigt und der die „handwerkenden“ Produzenten ausgeliefert sind. [...] Im Übergang vom „Mittelalter“zur „Renaissance“, als sich Kunst als eigenständiges Terrain vom Handwerk abzugrenzen beginnt, wandern die Inschriften, die zuvor noch außerhalb des Bildes auf dem Rahmen standen, als Signatur ins Bild. Damit wird der Verweis auf den Produzenten dem Bild realiter eingeschrieben. Als Bildbestandteil besiegelt die handschriftliche oder mongogrammatische Signatur den „Schöpfungsakt“. Sie deklariert das Bild zum Werk des genannten Künstlers und bestätigt so die „unumstößliche“ Kunst-Produzent-Produkt-Verbindung.

KUNSTFORUM International Bd.292 Nov.–Dez. 2023


Autor*innenschaft. Aneignung. Identität.

Beitrag zu einem Gegenwartsdiskurs



Tim Beeby, Unsigned Untitled Undated: 120 Leinwände für München, Februar 2023 [Foto: Tim Beeby]

Externe Kunstfaktoren und kollektive Koproduktion  


Ein Projekt des Künstlers Tim Beeby verdeutlicht die Funktion der Signatur im Kontext der Gegenwart und bringt Faktoren ins Spiel, die über das optisch wahrnehmbare Bild hinausweisen und die Bedeutung von Kunst von außen bestimmen. In unsigned untitled undated stellt Beeby seine Bilder nach Größe sortiert in Bilderstapeln aus. Wer will, kann ein Bild mitnehmen, er / sie kann es aber auch signieren, datieren und betiteln lassen, was dazu führt, dass der Künstler das ausgewählte Bild in sein Werkverzeichnis aufnimmt und ein festgelegter Verkaufspreis bezahlt werden muss.

Ohne Signatur und ohne Kenntnis des / r Produ- zent*in läuft der Kunst-Spin ins Leere. Benennt und bestätigt die Signatur hingegen die Autor*innenschaft, wird Kunst als Original potenziell markttauglich. Der Marktwert wiederum kann, aufgrund der (irrigen) Annahme, dass Preis und Bedeutung des Produkts Kunst korrelieren, seine Wertschätzung womöglich steigern. Hinzu kommt, dass die aufs Spektakuläre fixierten Medien die am höchsten bezahlte Kunst „ikonisieren“.

Neben dem Marktwert gibt es ein Bündel kunstdeterminierender Faktoren und ein Kollektiv von Ko-Produzent*innen, denen explizit keine Autor*innenschaft zugesprochen wird, die aber doch das Produkt Kunst mit zu dem machen, als was es erscheint. Dieses Kollektiv, das neben den Künstler*innen die Kunstwelt bildet, ist keineswegs homogen – die einzelnen Akteur*innen vertreten unterschiedliche Interessen und Positionen – aber es ist wirkungsmächtig. Kurator*innen bestimmen, was öffentlich zu sehen ist, wobei sie mit Bedeutung generierenden Konzepten zu „Metakünstler*innen“ werden. Das leitende Museumspersonal entscheidet, was in die Sammlung aufgenommen und kanonisiert wird, was in den Schausälen sichtbar ist und was – oft für immer – im Archiv verschwindet. Potente Sammler*innen bestimmen mit ihren Einkäufen, welche Kunst am Markt floriert. Hinzu kommen Kunsthistoriker*innen, -kritiker*innen und -theoretiker*innen, die mit Büchern, Katalogen und Medienbeiträgen Bedeutungen konstruieren und auf Kunst öffentlich aufmerksam machen, wobei Websites und soziale Plattformen eine neue Dimension schnelllebiger, Aufmerksamkeit generieren. Selbst die Tourismusindustrie steigert, wenn sie Kunstattraktionen ins Programm nimmt, deren „popkulturellen“ Wert. [...]