[...]
Die Diskrepanz zwischen dem simplen Schriftzug und der großen Bedeutung, die diesem in der Kunstwelt beigemessen wird, stellt ein Paradoxon dar, das Tim Beeby in seiner Ausstellung Unsigned Untitled Undated aufgreift. 2017 verzichtet er in dieser erstmals bewusst auf die Signierung seiner Gemälde, und initiiert eine provokante Auseinandersetzung mit etablierten Mechanismen der Kunstbewertung, indem er sein Publikum einlädt, seine unsignierten Arbeiten kostenlos mitzunehmen.8 Wer eine Signatur und damit die Aufnahme des Werkes in das Werkverzeichnis des Künstlers wünscht, kann die Gemälde zum marktüblichen Preis erwerben.9
Die Entscheidung des Künstlers, auf eine Signatur zu verzichten und diese den Besuchenden zum Kauf anzubieten, wirft eine Reihe von Fragen auf. Es bleibt zu klären, welche Bedeutung die Signatur tatsächlich für den Wertbildungsprozess eines Kunstwerkes spielt. Kann eine unsignierte Arbeit denselben ökonomischen und kulturellen Wert erlangen wie eine signierte und in der Kunstwelt Anerkennung finden? Sollten die ästhetischen Qualitäten von Kunst nicht höher gewertet werden, als ihre Verbindung zu einem prominenten Namen?
Die vorliegende Arbeit greift diese Widersprüche auf und geht am Beispiel von Tim Beebys Unsigned Untitled Undated der Frage nach, wie die Signatur den Wert eines Kunstwerkes beeinflusst. Dabei wird der Fokus auf der Gattung der Malerei im europäischen Raum liegen, von der noch heute im besonderen Maße eine „Eigenhändigkeit“ gefordert wird und in der die Signatur als Merkmal von Originalität und Autorenschaft und Autorinnenschaft, eine besondere Rolle einnimmt. Aufgrund der engen Verknüpfung wird auch der moderne und zeitgenössische nordamerikanische Kunstmarkt in die Überlegungen mit einbezogen.
Duchamp stellte die bis heute nicht eindeutig geklärte Frage, die auch von Tim Beeby aufgegriffen wird: Wie wird ein Kunstwerk definiert und was zeichnet es aus? Laut Joachim Heusinger von Waldegg ist die Signatur entscheidend für die Interpretation des Pissoirs als Kunstwerk, da sie als symbolische Geste die Präsentationsform und Ausrichtung des Objektes bestimmt, durch die das Urinal zum Fountain wird.90 Hubertus Butin und auch Annette Tietenberg fassen zusammen: Die Signatur rechne mit dem potentiellen Kontext einer Ausstellung und der Präsentation des Objektes auf einem Sockel. Allein diese Erwägung der Ausstellung hebe den Gebrauchswert des Pissoirs auf und gliedere das Urinal trotz fragwürdiger Ästhetik als ein skulpturales Objekt in das kunstbetriebliche Werte- und Ordnungssystem ein.91
8 Vgl. Beeby o. D., o. S. (abgerufen am 04.11.2024).
9 Vgl. Beeby o. D., o. S. (abgerufen am 04.11.2024).
90 Vgl. Heusinger von Waldegg 2015, S. 83-84.
91 Vgl. Butin 2013, S. 397 & vgl. Tietenberg 2013, S. 24.
95 Vgl. Tietenberg 2013, S. 24.
149 Vgl. Breuer 2014, o. S. (abgerufen am 04.11.2024).
Charlotte Seidel
Auszug aus:
Unsigned Untitled Undated
Wie beeinflusst die Signatur den Wert eines Kunstwerkes – am Beispiel von Tim Beebys Ausstellungsprojekt?
[...]
[...]
[...]
Das vorgestellte Beispiel verdeutlicht die Bedeutung von Signatur und Sprache für die Bewertung von Kunst. Duchamp löste die Figur des Autors endgültig von der Eigenhändigkeit. Allein die Idee und Signatur als Autorenzeichen waren ausreichend, um ein Kunstwerk als solches zu definieren.95 Ein Jahrhundert später geht Tim Beeby der Frage nach, ob ein Gemälde im 21. Jahrhundert auch ohne die legitimierende Signatur, als mystisches Zeichen von Autorschaft, Akzeptanz finden kann.
Indem Beeby seinen Arbeiten konventionelle Merkmale wie die Signatur verweigert, fordert er sein Publikum auf, den Wert seiner Arbeiten nach alternativen Kriterien festzulegen und impliziert eine Infragestellung gängiger Mechanismen der Wertschätzung in der Kunstwelt. Der ökonomischen und der künstlerischen Wert von Kunst werden einander gegenüber gestellt und die Relevanz der Frage verdeutlicht welchen Einfluss die Signatur auf beide nimmt. Kann die Signatur alleine den Wert eines Kunstwerkes rechtfertigen? Tim Beeby lenkt damit den Blick auf den Kern eines universellen Problems der Kunstwelt: Weder der Markt-, noch der Kunstwert sind objektiv messbar und entziehen sich einer klaren Definition.149
[...]
Beeby, Tim: unsigned untitled undated, o.O. o. D., http://tim-beeby.de/unsigned_d.html (abgerufen am 04.11.2024).
Breuer, Ingeborg: Der Wert der Kunst. Wie funktioniert der weltweite Kunstmarkt? In: Deutschlandfunk 2014, o.S., https://www.deutschlandfunk.de/der-wert-der-kunst-wie-funktioniert-der-weltweite-kunstmarkt-100.html
Butin, Hubertus: Die Crux mit der Signatur. Der Namenszug in der modernen und zeitgenössischen Kunst zwischen Affirmation und Dekonstruktion. In: Hegener, Nicole (Hg.): Künstlersignaturen: von der Antike bis zur Gegenwart. Petersburg 2013, S. 392-405.
Heusinger von Waldegg, Joachim: Signaturen der Moderne. Karlsruhe 2015.
Tietenberg, Annette: Die Signatur als Authentifizierungsstrategie in der Kunst und im Autorendesign. In: Dauer, Uta (Hg.): Authentizität und Wiederholung: Künstlerische und kulturelle Manifestationen eines Paradoxes. Bielefeld 2013, S. 19-34.
Literaturverzeichnis (Auszug)